Bevölkerungsschutz und Armee: Lücken nennen und schliessen

Der Krieg in der Ukraine erschüttert die Welt; er stellt eine sicherheitspolitische Zeitenwende dar. Getroffene Annahmen und vermeintliche sicherheitspolitische Gewissheiten seit dem Mauerfall müssen neu justiert werden. Daraus ergeben sich zusätzliche Herausforderungen.

Eine Folge des Krieges in Osteuropa dürfte sein, dass sich der Schweizer Bevölkerungsschutz und die Schweizer Armee wieder stärker auf den Verteidigungsfall ausrichten müssen. Die RK MZF fordert, dass die bestehenden doktrinären und rechtlichen Grundlagen hinsichtlich eines bewaffneten Konflikts überprüft werden. Zudem sind die Anliegen des Bevölkerungsschutzes und des Zivilschutzes im geplanten Zusatzbericht des VBS zum Sicherheitspolitischen Bericht 2021 zwingend zu berücksichtigen.

1. Bevölkerungsschutz
1.1 Schutzbauten
Die Schutzbauten sind für den Kriegsfall errichtet worden. Sie stellen ein wesentliches Mittel zum Schutz der Bevölkerung in einem bewaffneten Konflikt dar.[1] Für die Steuerung des Schutzraumbaus oder die periodischen Schutzraumkontrollen sind die Kantone bzw. Gemeinden zuständig. Die Erneuerung der Schutzanlagen ist Sache des Bundes und wird auch von diesem finanziert.

Die RK MZF fordert den langfristigen Werterhalt und die Weiterentwicklung der Schutzbauten. Dabei kommt insbesondere der periodischen Schutzraumkontrolle, der Steuerung des Schutzraumbaus und der Zuweisungsplanung verstärkte Bedeutung zu. Ausserdem ist zu klären, ob und wie Schutzräume, die vor 1987 gebaut wurden, in ihrem Wert erhalten und adäquat ausgerüstet werden können. Die sich in Arbeit befindlichen Neukonzeptionen für die Zukunft der Schutzbauten und sanitätsdienstlichen Schutzanlagen sind bis Mitte bzw. Ende 2022 abzuschliessen; mit deren Umsetzung ist rasch möglichst zu beginnen.

Die Führungsstrukturen und Entscheidungsfindungsprozesse inklusive der erforderlichen Sofortmassnahmen im Kriegsfall sind zu definieren. Dabei handelt es sich insbesondere um die Definition des Prozesses im Hinblick auf einen Schutzraumbezug der Bevölkerung. Die RK MZF fordert, dass der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen das erforderliche Informationsmaterial für die Bevölkerung über die Schutzräume generell sowie zur Bereitstellung der Schutzräume, zu deren Bezug und zum Schutzraumaufenthalt erarbeitet und noch im laufenden Jahr vorlegt.

1.2 Sichere Kommunikationssysteme
Sichere Kommunikationssysteme sind vor und während eines bewaffneten Konflikts ebenso von Bedeutung, wie bei der Bewältigung von Katastrophen und Notlagen. Seit einigen Jahren sind drei Schlüsselprojekte in Planung begriffen. Dabei handelt es sich um die Werterhaltung des Funksystems Polycom (WEP 2030), das Sichere Datenverbundsystem (SDVS) sowie die Mobile breitbandige Sicherheitskommunikation (MSK). Zusätzlich ist die Information der Bevölkerung nach einem Schutzraumbezug durch das Notfallradio (IBBK) von Bedeutung.

Die RK MZF bedauert das schleppende Vorankommen der drei Schlüsselprojekte. Nach wie vor ist die Werterhaltung von Polycom gefährdet, die Umsetzung des Sicheren Datenverbundnetzes dauert an und MSK steht erst ganz am Beginn. Die Herausforderungen in Bezug auf WEP 2030 bestehen darin, den einwandfreien Betrieb von Polycom für die 55’000 Nutzer bis ins Jahr 2035 zu vernünftigen Kosten sicherzustellen sowie die Projektplanung einzuhalten. Bei MSK sind Koordination und Finanzierung sicherzustellen. Nur so kann eine schweizweit einheitliche Lösung herbeigeführt werden. Die Rolle des BABS ist rasch möglichst zu klären. Die entsprechenden Verantwortlichkeiten sind wahrzunehmen und die Aufgaben anzugehen. Zur Realisierung dieser drei Schlüsselprojekte ist das BABS mit den erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen auszustatten.

2. Zivilschutz
Der Zivilschutz ist das strategische Element der Kantone zur Sicherstellung der Durchhaltefähigkeit des Bevölkerungsschutzes. Der Krieg in der Ukraine führt in aller Deutlichkeit die Auswirkungen eines bewaffneten Konfliktes auf die Zivilbevölkerung vor Augen. Damit rückt der Schutz der Bevölkerung bei kriegerischen Ereignissen als wesentliche Aufgabe des Zivilschutzes wieder in den Fokus.

Die RK MZF fordert daher, dass geprüft wird, ob das Szenario eines bewaffneten Konflikts in der Ausbildung des Zivilschutzes vermehrt berücksichtigt werden muss. Dies geht einher mit einer Überprüfung des Leistungsprofils des Zivilschutzes. Zu berücksichtigen ist dabei die Unterstützung und Betreuung der Bevölkerung bei einem Bezug der öffentlichen Schutzräume. Für den Betrieb von sanitätsdienstlichen Schutzanlagen ist die Wiedereinführung des anlagebezogenen Sanitätsdienstes zu prüfen. Auch die Leistungen des ABC-Schutzes im Zivilschutz sind neu festzulegen. Vor diesem Hintergrund sind die Bestände des Zivilschutzes und die Alimentierung der Grundfunktionen neu zu evaluieren.

3. Armee
Die Durchhaltefähigkeit der Schweizer Armee im Kriegsfall über eine Dauer von mehreren Monaten ist heute nicht sichergestellt. Zahlreiche bestehende und sich abzeichnende Schwächen und Lücken sind ausgewiesen. So wurden seit der Armee XXI beispielsweise die Kampftruppen auf lediglich rund 20’000 Angehörige der Armee (AdA) reduziert. Die teilweise veralteten Waffensysteme sowie jene Systeme, die entweder in zu geringer Zahl oder überhaupt nicht vorhanden sind, stellen den Auftrag der Kriegsverhinderung durch Abhaltung eines potenziellen Gegners in Frage.

Aufgrund der unsicheren und schwierig zu beurteilenden sicherheitspolitischen Lage fordert die RK MZF, dass die Schweizer Armee ihrem Kernauftrag, der Verteidigung, gerecht wird. Dabei ist die Durchhaltefähigkeit der Armee mittels ausreichender personeller und materieller Reserven sicherzustellen. Dies dürfte ohne Erhöhung von Budget und Beständen nicht zu erreichen sein. Die auf Ende 2024 festgesetzte Prüfung zweier neuer Dienstpflichtmodelle (Sicherheitsdienstpflicht, bedarfsorientierte Dienstpflicht) ist zu beschleunigen. Die erkannten Schwächen und Lücken können nur behoben werden, wenn dies über Finanzen, Armeebotschaften und Militärgesetzrevisionen rasch behoben wird. Die RK MZF empfiehlt daher dem Bundesparlament und der Landesregierung diese Verantwortung wahrzunehmen.

[1] Es werden folgende Kategorien von Schutzbauten unterschieden: 1. öffentliche und private Schutzräume für die Bevölkerung, 2. Schutzanlagen (Kommandoposten und Bereitstellungsanlagen) sowie 3. sanitätsdienstliche Schutzanlagen.