Priorität Erhöhung Armeeausgaben: Schreiben an die Mitglieder des eidg. Parlamentes

Sehr geehrte Damen und Herren, Nationalrätinnen und Nationalräte,
Sehr geehrte Damen und Herren, Ständerätinnen und Ständeräte,

Ausgangslage
Der Russisch-Ukrainische Krieg dauert bereits mehr als anderthalb Jahre. Ein Ende ist nicht absehbar. Der Gazakrieg hat sich in den vergangenen Wochen mit aller Gewalt in unser Bewusstsein gedrängt. Diese Beispiele zeigen in aller Deutlichkeit, wie unsicher die sicherheitspolitische Lage geworden ist. Dadurch hat die Schweizer Armee, die unsere letzte Rückversicherung ist, deutlich an Stellenwert gewonnen. Über Jahrzehnte hat man die Armee finanziell, personell und materiell vernachlässigt.
Damit die Armee ihren verfassungsmässigen Auftrag der Verteidigung erfüllen kann, muss sie ausreichend personell alimentiert sein und mit ausreichend finanziellen Mitteln zur Beschaffung der nötigen Systeme und für den Betrieb versehen werden. Die Dringlichkeit des Ausbaus entsprechender Fähigkeiten sowie die notwendige Bevorratung und der Bedarf an Material und Infrastruktur sind gestiegen.
Allerdings gibt die Schweiz prozentual am BIP deutlich weniger aus als vergleichbare europäische Kleinstaaten. Dies anerkannte die Bundesversammlung, als sie im Herbst 2022 die Armeeausgaben auf 1 % des Schweizer BIP bis 2030 erhöhte. Obwohl sich damals alle relevanten Akteure darüber einig waren, scheint diese Priorität bereits wieder in Vergessenheit geraten zu sein. Dies bereitet uns Sorgen.

Stärkung der Verteidigungsfähigkeit
Im August 2023 hat die Armeeführung ihre Pläne vorgelegt.[1] Für den Aufbau der erforderlichen Fähigkeiten sind die Finanzmittel entscheidend. Würden sämtliche Systeme, die in den kommenden Jahren ans Ende ihrer Nutzungsdauer gelangen, ersetzt und gleichzeitig neue Fähigkeiten aufgebaut, beliefe sich der Finanzbedarf auf über 40 Milliarden Franken. Zusätzlich benötigt eine auf die Verteidigung ausgerichtete Bevorratung an Munition und Ersatzmaterial weitere rund acht bis zehn Milliarden Franken. Weil sich nicht alles gleichzeitig realisieren lässt, muss anders vorgegangen werden. Anstatt ganze Systemflotten zu ersetzen, soll künftig die Armee schrittweise modernisiert werden. Indem die Systeme in überschaubaren Schritten erneuert werden, lässt sich sicherstellen, dass die Verteidigungsfähigkeit rascher gestärkt werden kann und der technologische Fortschritt genutzt werden kann.
Als nächster Schritt soll 1.) rund ein Drittel der Bodentruppen erneuert werden. 2.) Braucht es Fähigkeiten, um Bedrohungen im gesamten Luftraum abwehren zu können und dies zusätzlich zur bodengestützten Luftverteidigung grosser Reichweite (System Patriot). Damit sollen die eigenen Bodenverbände gegen Angriffe aus der Luft geschützt werden. Und 3.) benötigt es Fähigkeiten zur Bekämpfung von Zielen, um zivile und militärische Infrastruktur gegen Angriffe mit Marschflugkörpern und Raketen schützen zu können.

Finanzielle Herausforderungen
Damit sich der nächste Schritt zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit bis Mitte der 2030er Jahre umsetzen lässt, werden in den Jahren 2024 bis 2031 für Investitionen in Rüstungsmaterialbeschaffungen rund 13 Milliarden Franken benötigt. Hinzu kommt die laufende Beschaffung grösserer Mengen an Munition, um die Durchhaltefähigkeit zu erhöhen. Mit der vom Parlament im Herbst 2022 beschlossenen schrittweisen Erhöhung des Armeebudgets auf 1 % des BIP bis spätestens 2030 stünden dazu genügend Finanzmittel zur Verfügung.
Die Beschlüsse des Bundesrates vom Februar 2023 zur Beseitigung des strukturellen Defizits lassen die Ausgaben für die Armee jedoch langsamer anwachsen. Das Ziel von 1 % des BIP wird erst 2035 erreicht. Dadurch dauert auch die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit entsprechend länger. Mit jedem zusätzlichen Jahr, in dem die Armeeausgaben weniger stark ansteigen als vom Parlament gefordert, stehen jährlich mehrere hundert Millionen Franken weniger für Investitionen zur Verfügung. Dadurch müssen verschiedene Rüstungsvorhaben um eine bis zwei Legislaturperioden verschoben werden.
Die Folge ist nicht nur, dass die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit bis in die frühen 2040er Jahre verschoben würde. Weil zahlreiche Systeme in den kommenden Jahren ans Ende ihrer Nutzungsdauer gelangen, entstehen auch temporäre Fähigkeitslücken. Dort, wo ältere Systeme für wenige Jahre weiterbetrieben werden könnten, ist zudem mit einem Anstieg der Betriebskosten zu rechnen. Das gefährdet wiederum die langfristige materielle Erneuerung der Armee, weil mit steigenden Betriebskosten das angestrebte Verhältnis zwischen Betriebs- und Investitionsausgaben nicht realisiert werden kann. Dies alles vor dem Hintergrund einer sich möglicherweise weiter verschärfenden sicherheitspolitischen Lage.
Ohne die schrittweise Erhöhung des Armeebudgets auf 1 % des BIP bis 2030 wird die Situation durch folgenden Umstand zusätzlich verschärft: Die in den Jahren 2024-2028 für Investitionsausgaben vorgesehenen Gelder des Armeebudgets werden vollständig für die bereits eingegangenen Verpflichtungen für Rüstungsmaterial aus den Rüstungsprogrammen der Jahre 2013 bis 2022 aufgebraucht werden.[2]
Kleinere europäische Länder wie Dänemark, Holland oder Norwegen geben 1.4%, 1.6% oder 1.8% des BIP für die Verteidigung aus – mehr als das Doppelte der Schweiz. Und sie bewegen sich nun gegen 2%. Auch während der ganzen letzten 30 Jahre haben kleinere europäische Länder deutlich mehr in die Verteidigung investiert als die Schweiz. Diese Investitionen fehlen unserer Armee heute.
Ohne die vom Parlament beschlossenen finanziellen Mittel sind vor 2028 überhaupt keine grösseren (zusätzlichen) Beschaffungsvorhaben möglich. Die Armee müsste ein Sparprogramm beim Betrieb und eine frühere Ausserdienststellung von Systemen in Betracht ziehen, um Mittel für die Erneuerung und frühere Stärkung der Verteidigungsfähigkeit freizumachen. Wird dagegen, wie vom Parlament gefordert, das Armeebudget bis 2030 erhöht, steht mehr Geld für Investitionen zur Verfügung und die nötigen Modernisierungsschritte zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit lassen sich rascher umsetzen.

Empfehlung
Der Vorstand der Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) empfiehlt Ihnen, sehr geehrte Mitglieder des eidgenössischen Parlaments, gegenüber der Landesregierung die vom Parlament im Herbst 2022 beschlossene schrittweise Erhöhung des Armeebudgets auf 1 % des BIP bis spätestens 2030 einzufordern.

[1] Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit soll entlang dreier strategischer Stossrichtungen erfolgen: 1. adaptive Weiterentwicklung der militärischen Fähigkeiten, 2. Nutzung von Chancen aufgrund des technologischen Fortschritts und 3. Intensivierung der internationalen Kooperation.

[2] Derzeit belaufen sich diese Verpflichtungen auf 11,4 Milliarden Franken. Darin enthalten sind unter anderem 8 Milliarden Franken für das Programm „Air2030“ (Neues Kampflugzeug F-35A und Bodengestützte Luftverteidigung grosser Reichweite Patriot).